Barrieren gehören im ÖPNV zum Alltag und bringen ÖPNV-Nutzer täglich in unangenehme und teils unüberwindbare Situationen.
Um auch Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen den Zugang zu Mobilität und öffentlichen Einrichtungen zu ermöglichen, gibt es seit Jahrzehnten geltende Gesetze, die den Abbau physischer Barrieren vorantreiben sollen. Mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung vieler Prozesse hat der Gesetzgeber nun beschlossen, auch digitale Hürden abzubauen und die ÖPNV-Dienstleister damit vor große Herausforderungen stellt.
Ursache ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), mit dem ab dem 28. Juni 2025 die digitalen Zugangshürden zum ÖPNV beseitigt werden.
An wen richtet sich das BFSG? Welche Inhalte sind betroffen? Was ist zu tun?
Das BFSG richtet sich an alle Anbieter, die Informationen, Produkte oder Dienstleistungen im Bereich des ÖPNV bereitstellen. Dazu gehören Verkehrsverbünde, Nahverkehrsgesellschaften und Verkehrsunternehmen ebenso wie private und öffentliche Anbieter digitaler Plattformen und Anwendungen.
Sie alle sind verpflichtet, ihre digitalen Inhalte und Dienste barrierefrei zu gestalten, um den Zugang für alle Nutzerinnen und Nutzer ohne fremde Hilfe zu gewährleisten. Dazu zählen Websites, Apps, PDFs, Buchungssysteme und elektronische Anzeigetafeln. Auch alle anderen Einrichtungen, die Fahrgastinformationen bereitstellen oder Buchungen ermöglichen, fallen unter die Regelungen des Gesetzes.
Im digitalen Bereich wird damit ein Standard geschaffen, der für alle Anbieter verbindlich ist – unabhängig davon, ob sie direkt oder indirekt mit der Bereitstellung von ÖPNV-Informationen oder -Leistungen befasst sind
Inklusion beginnt im Kopf
Inklusion wird in vielen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen als zusätzliche Aufgabe abseits „üblicher Regelungen“ angesehen und deshalb als „Mehraufwand“ eingestuft.
Genau da liegt das Problem: Solange bei Aufgaben und Prozessen in „übliche“ und „nicht-übliche“ Maßnahmen, in „Regelaufwand“ und „Mehraufwand“ getrennt wird, bleibt Inklusion ein reiner Wunschgedanke, der stets Kostenbetrachtungen zum Opfer fällt.
Der Weg zu Inklusion und Barrierefreiheit beginnt folglich in unseren Köpfen – wir müssen beides wollen, anstatt Vermeidungsstrategien und Ausreden zu entwickeln, die die Umsetzung verhindern.
Gesetzliche Regelung schließt Lücken
Schon seit 2013 enthält das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) die Formulierung, „für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“.
Während auf der Grundlage dieses Gesetzes in den vergangenen Jahren zumindest einige physische Hürden im ÖPNV beseitigt wurden, sind neue, große Hürden durch den elektronischen Fortschritt entstanden, die die Planung und Durchführung mobiler Interessen einschränken oder sogar verhindern.
Dieser Entwicklung soll das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) entgegenwirken und Menschen mit Behinderungen endlich die gleichberechtigte Nutzung digitaler Inhalte und Dienstleistungen ermöglichen.
Was bedeutet digitale „Barrierefreiheit“?
Einstieghilfen, Rampen, Lifte, ausreichend breite Türen und andere physische Einrichtungen und Maßnahmen – all das kennen wir.
Wer mit einer persönlichen Einschränkung mobil sein will, muss, bevor er sich auf den Weg macht, in Erfahrung bringen, ob ihn die Fahrt ans gewünschte Ziel bringt oder ob unterwegs Hindernisse auftreten, die das Ankommen erschweren oder verhindern.
Das bedeutet, der Zugang zu allen Fahrt-Informationen muss genauso barrierefrei sein, wie die Fahrt selbst.
Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen stehen unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung, um sich Informationen zugänglich zu machen, selbst dann, wenn sie nichts hören oder nichts sehen können. Die Grundvoraussetzung dabei ist, dass die Daten und Informationen so standardisiert sind, dass sie von den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln ausgelesen und genutzt werden können.
Finden wir aktuell solche Standards im ÖPNV?
Die mehrheitlich geltende Antwort lautet – nein. Aber warum ist das so?
Einen wichtigen Bestandteil bilden die sogenannten „Tags“ – der Begriff kommt aus dem Englischen bzw. der Programmierung und bedeutet „Schlagwort“ oder „Etikett“. Ein „Tag“ wird bei dem Aufsetzen eines Textes oder einer Tabelle an Schlüsselstellen platziert, um Inhalte, Themen oder Kernelemente zu kategorisieren.
Mit Hilfe dieser Tags können Programme den Text oder die Tabelle strukturiert auslesen und in Verbindung mit Spezialgeräten zum Beispiel als gesprochene Texte oder Braillezeilen ausgeben. Darüber hinaus bieten verschiedenste assistive Apps/Programme Funktionen, wie Sprachsteuerung, Darstellungs-Anpassungsmöglichkeiten (Farbe/Schriftgröße/Abstände etc.), Vorlesefunktionen (Screenreader) und vieles mehr.
Die Technik ist also vorhanden. Ungeklärt ist die Frage, wieso fehlt im ÖPNV derzeit die Barrierefreiheit in vielen digitalen Medien?
Digitale Barrierefreiheit entsteht nicht am Ende eines Prozesses oder im Zuge eines Upgrades, sondern am Anfang bei dem Aufbau von Datenstrukturen (aktuell sind Schnittstellen und die meisten Medien erzeugende Programme noch nicht dafür ausgelegt).
Beispiel: Solange eine PDF-Datei keine Tags enthält, kann sie nicht mit Hilfe assistiver Programme/Apps ausgelesen werden. Es muss zuerst eine Grundlage geschaffen werden, Inhalte barrierefrei zu erzeugen und darzustellen.
Was bedeutet der aktuelle Zustand der Fahrgastinformationen für Menschen mit Behinderung?
Screenreader sind an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Wenn, wie oben beschrieben, die Information bzw. das verwendete Medium nicht normgerecht aufgebaut ist, dann kann der Screenreader keine Inhalte auslesen bzw. darstellen.
Ein blinder Mensch erhält in dem Fall – gar nichts! Da nichts ausgelesen werden kann, findet auch keinerlei Informationsweitergabe/Darstellung statt (als Vergleich für sehende Menschen – der Bildschirm ist in solchem Fall einfach nur schwarz).
Das bedeutet, am ÖPNV können nur diejenigen selbständig teilnehmen, denen alle notwendigen Informationen und Voraussetzungen ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind – alle anderen werden ausgeschlossen!
Wie kann die gesetzlich formulierte Aufgabe erfüllt werden?
Ein häufiges Missverständnis besteht darin, barrierefreie Medien als eine separate Spezialversion anzusehen – tatsächlich liegt der Ursprung des Problems in den bestehenden Medien.
Wenn zur Verfügung gestellten Medien nicht für eine barrierefreie Darstellung geeignet sind, dann wird es schwierig, aufwendig und mieistens sogar unmöglich, diese barrierefrei nachzubereiten. Barrierefreiheit muss von Anfang an in die Planung und Struktur digitaler Angebote einfließen – nicht als nachträgliches Upgrade. Nur so können Websites, Apps und PDFs inklusiv sein und den geltenden Anforderungen genügen.
Zusätzlich profitieren alle Nutzer von Maßnahmen zur Barrierefreiheit – hohe Kontraste und große Klickflächen erleichtern sowohl die Maus- als auch die Fingereingabe und verbessern die Benutzerfreundlichkeit. Weitere Maßnahmen, wie eine gut strukturierte Programmierung, sind für viele unsichtbar, für Nutzer von Hilfsmitteln, wie z. B. Vorlesesoftware, jedoch entscheidend.
Wichtige technische Standards in diesem Bereich sind die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 und die EU-Norm EN 301 549. Die WCAG 2.1 definiert Anforderungen an barrierefreie Webinhalte, wie die Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit und Verständlichkeit von Informationen. EN 301 549 erweitert diese Anforderungen auf Software, Hardware und digitale Dokumente.
In Deutschland sorgt die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) dafür, dass öffentliche Stellen des Bundes ihre Webseiten und Apps barrierefrei gestalten. Sie basiert auf den Prinzipien der WCAG, etwa der Bereitstellung von Textalternativen und der Tastaturbedienbarkeit.
Indem Unternehmen diese Standards von Anfang an umsetzen, schaffen sie nicht nur barrierefreie Lösungen für Menschen mit Behinderungen, sondern verbessern die Nutzererfahrung für alle. Barrierefreiheit wird so zu einem Qualitätsmerkmal, das allen zugutekommt.
Die Einführung des BFSG am 28. Juni 2025 markiert einen Wendepunkt in der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. In einer immer stärker digitalisierten Welt ist der Zugang zu digitalen Informationen und Diensten entscheidend für Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe. Menschen mit Behinderungen, insbesondere jene mit Seh-, Hör- oder kognitiven Beeinträchtigungen, stehen oft vor großen Hürden, wenn sie digitale Anwendungen nutzen möchten. Fehlende Barrierefreiheit schließt sie von der Nutzung moderner Mobilitätsangebote aus.
Das BFSG wird sicherstellen, dass digitale Inhalte und Dienste im ÖPNV für alle Menschen nutzbar sind. Die Maßnahmen wirken auch weit über die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen hinaus. Ältere Menschen profitieren von einfach zu bedienenden Apps und klar verständlichen digitalen Anzeigesystemen. So kann barrierefreie Gestaltung die Attraktivität des ÖPNV insgesamt steigern, was langfristig dazu beiträgt, mehr Menschen für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu gewinnen und den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Digitale Barrierefreiheit sorgt für eine höhere Kundenzufriedenheit und minimiert das Risiko rechtlicher Konflikte.
Es geht also nicht einfach um technischen Fortschritt, sondern um die Umsetzung eines Grundrechts: die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben.